Deine Meinung ist gefragt

„Ist mir doch egal – oder warum es sich lohnt, eine eigene Meinung zu haben.“ Mit diesem Statement begann der Vortrag von Dr. Christian Brouwer, Studienleiter für Theologie und Ethik an der Evangelischen Akademie in Loccum bei der Hauptamtlichenkonferenz der Mitarbeiter:innen der Kinder- und Jugendarbeit der oldenburgischen Kirche in der idyllisch gelegenen Pfadfinderbildungsstätte Sager Schweiz am 28. Februar 2023.

Es ging das grundgesetzliche Recht auf eine eigene Meinung und auf einen entsprechenden Widerspruch dazu. Die öffentliche Meinung vervielfältigt sich durch soziale Medien und reduziert sich oftmals in weltanschaulichen Blasen wieder auf einen kleinen Ausschnitt. Meine eigene Meinung muss ich mir aber immer noch selbst bilden und am besten auch noch begründen. Am Ende steht angesichts von ethischen Entscheidungen, egal aus welchem Ansatz heraus wir sie getroffen haben, die Frage: Wer bin ich, wenn ich dass so meine?

Im Selbstversuch stellten sich die Hauptamtlichen vier ganz unterschiedlichen Fragen: Sollen alle Menschen Vegetarier:innen werden? Ist es richtig, dass Deutschland Leopard-Panzer in die Ukraine liefert? Darf man Sportveranstaltungen wie die Fußball-WM in Katar anschauen? Ist es erlaubt, Hogwarts Legacy Deluxe zu spielen?

Ich fand es sehr interessant und auch ein wenig aufregend, mit sechs Kolleg:innen über die Leopard-Frage nachzudenken und sie in jeweils einer Pro und Contra-Gruppe zu Papier zu bringen. Gute Gründe zu finden für eine Position, selbst dann, wenn es gar nicht meine eigene ist. Wir alle spürten, dass wir uns da irgendwie in einer Dilemma-Situation befinden und ganz schnell „Nein, aber“ oder „Ja, aber“ sagen möchten. Es war gar nicht so leicht auszuhalten und nicht sofort zu protestieren, wenn jemand eine steile These in den Raum stellte. Am Ende haben die die zwei unterschiedlich begründeten Haltungen stehen gelassen und jeweils in einem kurzen Tweet-Format zusammengefasst.

Erkenntnisse, die wir aus der Arbeit mit strittigen Themen gewonnen haben:
-Es lohnt sich, miteinander Streitfragen zu diskutieren und die unterschiedlichen Argumente der „anderen Seite“ anzuhören. Dazu gehören auch die Zwischentöne. Auch im kirchlichen Kontext herrscht eine Meinungsvielfalt, die aber oft in offiziellen Verlautbarungen kaum zum Tragen kommen, weil sie in sich schon einen Konsens formulieren, auf den sich scheinbar alle einigen können.
-Das bedeutet im Umkehrschluss: Es existiert in vielen Köpfen das Bild, dass „die Kirche“ „die eine Meinung“ vertritt. Seitens der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit besteht die Sorge, dass zu viele verschiedene (aus offiziell-kirchlicher Sicht falsche) Meinungen die Runde machen. Auf Seiten der kirchlichen Akteur:innen besteht die Unsicherheit, was man denn nur zu einem sensiblen Thema sagen darf, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden (was immer das dann bedeuten mag).
-Wir bilden uns in unserer kirchlichen Blase oft erst eine Meinung und diskutieren sie dann erst mit Menschen, die sich nicht explizit binnenkirchlich verstehen. Es lohnt sich, an der „Basis“ und in unseren alltäglichen Bezügen schon vorher nachzufragen und sich über die Vielfalt von begründeten Meinungen schlau zu machen.
-Es kann auch sein, dass wir ein Thema nach Herzenslust diskutieren und am Ende feststellen, dass die Politik schon längst eine Entscheidung getroffen hat, während wir noch fröhlich argumentieren. So ein bisschen laufen wir dann den Debatten hinterher. Am Beispiel der Panzerlieferungen festgemacht: Politisch ist längst entschieden: Ende März bekommt die Ukraine 62 Panzer, davon 18 aus Deutschland.

In der Konfizeit wird von den Verantwortlichen immer wieder diskutiert, ob aktuelle Themen auch mit Konfis bearbeitet werden sollten. Dagegen spricht oft: 1. Machen die doch schon in der Schule. 2. Sind sie noch zu jung für bzw. interessiert die Konfis gar nicht. 3. Wir haben eh schon zu wenig Zeit, um die zentralen Themen des Glaubens mit ihnen zu bearbeiten.
Für mich hört sich das oft an wie eine eigene Konfi-Blase.
Ich glaube nicht, dass man ein gesellschaftlich aktuelles Thema in aller Breite in der Konfizeit behandeln muss. Aber Gefühle und Meinungen zu erfragen und auch eigene Gedanken dazu einzuspielen, halte ich für einen guten Weg (haben wir bei Corona und beim Krieg zwischen der Ukraine und Russland ja auch gemacht.) Außerdem ist das Tagesgeschehen oft anschlussfähig, wenn wir uns mit den Konfis mit dem Kern und dem Wesen des christlichen Glaubens beschäftigen.
Das Weltgeschehen ist auch in den sozialen Netzwerken präsent. Eine (meine, unsere) persönliche, christlich begründete Meinung hilft zur Orientierung in der Unübersichtlichkeit der Positionen im postfaktischen Zeitalter. Wichtig ist, dass meine Meinung – und was sagen eigentlich die Teamer:innen dazu? – nicht unbedingt die einzig mögliche ist. In diesem Zusammenhang können die Konfis auch gleich lernen, dass die Bibel kein Ethik-Lehrbuch ist, sondern mit ihrer reichen Symbol- und Erzählwelt ein Angebot zur Entwicklung und Reflexion des eigenen und des kirchlichen Selbstverständnisses bietet. Siehe oben: Wer bin ich, wenn ich das so meine?

Jahrestagung der Berater:innen in der Konfi-Arbeit

Noch sind wir uns nicht ganz einig. Wie gehen wir mit den Erfahrungen der Corona-Krise um?
Die einen sagen, wir müssen noch genauer hinschauen, wie es den Akteur:innen gerade jetzt geht. Und bitte, bitte, nicht einfach nur anknüpfen an das, was vorher lief. Endlich wieder alles machen wie früher. Nein! Stopp! Die anderen sagen: Lasst uns gelassen einfach mal was machen. Auch gerne anders. Genug Stoff also für die Jahrestagung der Berater:innen in der Konfi-Arbeit vom 16.-18. Januar 2023 im Religionspädagogischen Institut in Loccum.

Dr. Kathinka Hertlein, Impulsgeberin der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend (aej) hat die maßgeblichen Studien zu den Auswirkungen von Corona auf junge Menschen befragt. Und stellt fest, dass die Corona-Krise wie ein Brennglas die allgemeine Krisensituation der jüngeren Generationen sichtbar macht. Und verschärft. Noch mehr sind unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, fühlen sich alleine und leiden an psychischen Auffälligkeiten. Der Anteile derer, die ohnehin schon in unserer Gesellschaft benachteiligt sind, hat sich verdoppelt! Fast 50 % der Jugendlichen machen sich Sorgen um die Zukunft. Sie fühlen sich höher verunsichert in den Übergängen ihres Lebens und insbesondere Schüler:innen beklagen, dass sie nur noch als Leistungsträger:innen angesehen werden: Lernen, lernen, lernen – und deshalb wäre es doch klug, die Ferienzeiten zu reduzieren. Was soll das denn bitteschön?

Um die Krise oder genauer die vielerlei Krisenherde (Jugendliche, Ehrenamt, Beruflichkeit, Ressourcen) zu meistern, schlägt Kathinka Hertleinin Anlehnung an einen neutestamentlichen Christus-Hymnus (Philipper 2, 5-11) einen Dreischritt vor.

1. Menschwerden – wir hören ernsthaft uns selbst, den jungen Menschen im Sozialraum und Gott zu.
2. Entäußern – mit niederschwelligen Angeboten und Schulungen entwickeln wir Potenziale und wagen den Re-Start mit dem Motto: Auch unscheinbare Anfänge sind wertvoll. Dazu gehört auch die Frage, welche Errungenschaften aus der Corona-Zeit fortgeführt werden sollten.
3. Emporheben – wir heben den Blick und sind dankbar für die Erfahrungen der Verbundenheit im ersten Lockdown und diskutieren über ethischen Handeln in der Krise.

Einen kleinen Anfang haben wir auf unserer Tagung gemacht mit einer SOAR-Analyse (Strengths, Opportunities, Aspirations, Results) und Praxisimpulsen, die wir uns überlegt und miteinander auf ihre Alltagstauglichkeit geprüft haben.

Was mir bei alle diesen Schritten am Herzen liegt: Es geht darum, jede und jeden nach den eigenen persönlichen Erfahrungen zu befragen. Und sich bei dieser Anteilnahme nicht gegenseitig zu bewerten, sondern sich gegenseitig zu ermutigen und zu stärken.
Dazu gehörte ganz am Anfang unserer gemeinsamen Zeit eine Austausch über unsere Sorgen im Bezug auf die gegenwärtige Situation. Wir durften dienstliche Sorgen draußen auf den Karton schreiben (siehe Beitragsbild) und die persönlichen innen rein.
Dass dabei viele Themen, die scheinbar nur am Rand mit der Konfi-Arbeit zu tun haben, zur Sprache kamen, war zu erwarten. Mal schauen, was wir mit unserer Sorgenwand am Ende anstellen…

Eine sehr schöne Nachricht zum Schluss: Unter den elf Menschen, die ihre Weiterbildung zur Konfizeit-Berater:in abgeschlossen haben, ist aus der oldenburgischen Kirche Pastorin Carina Böttcher aus Delmenhorst dabei. Die allerherzlichsten Glückwünsche, liebe Carina!


Oder: Das Kintsugi-Prinzip

Manchmal zerbrechen Dinge. Fallen runter. Gehen kaputt. Ein Scherbenhaufen. Das ist nicht schön.
Die Kintsugi-Technik steht in der Tradition einer alten japanischen Teekunst, die sich im Rahmen der Wabi-Sabi-Ästhetik entfaltet hat. Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte. Der bemooste Fels, die knorrige Kiefer, der leicht angerostete Teekessel. Die Einfachheit und die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit stehen im Zentrum der Anschauung. Keramik- oder Porzellanbruchstücke werden mit Lack geklebt, mit Kittmasse ergänzt und feinstes Pulvergold oder auch Silber und Platin eingestreut. Die am Ende deutlich sichtbaren Bruchlinien sorgen für ganz eigene Dekorationseffekte.

Vielleicht ist das ein gutes Bild, um mit all den Dingen umzugehen, die zerbrochen sind. Sei es im wörtlichen und ganz besonders auch im übertragenen Verständnis.

Viel wird gerade darüber diskutiert, welche langfristigen Auswirkungen Corona für die Psyche junger Menschen hat. Die Lockdown-Zeiten mit Schulausfällen, wenig sportliche Bewegungsangebote, mangelnden Chancen zu echten und ungefährlichen Begegnungen und die ganz allgemeine Zukunftsangst haben in der Seele vieler Kinder und Jugendlicher Verletzungen verursacht. Dazu kommt, dass die Familien, die in persönlichen Krisenzeiten oft Halt bieten, allesamt ebenfalls von den vielen Sorgen und Ängsten betroffen waren.

Die Ägypterin Hagar steht trotz der Freude über ihren Sohn Ismael vor einem Scherbenhaufen und einer unsicheren Zukunft. Dennoch fühlt sie sich in ihrer Not von Gott wahrgenommen und nennt ihn im ersten Buch Mose im 16. Kapitel El-Roi, was übersetzt heißt: Gott sieht nach mir! Spannend, dass Hagars vertrauensvolle Aussage uns durch das Jahr 2023 als Losung begleitet.

Gerade heute treffen in Lützerath Klimaschützer:innen aller Couleur und die Polizei aufeinander. Friedlicher Protest und Aggression angesichts der Sorge um die Zukunft unseres Planeten vermischen sich und der Rechtsstaat ist gezwungen, die Interessen der großen Energiekonzerne durchzusetzen. Auch hier entstehen Scherben, die sich nicht einfach mal so schnell kitten lassen.

Ich habe mich gefreut, dass der CVJM Deutschland seine Grußkarte mit der Jahreslosung mit einer durch die Kintsugi-Technik wiederhergestellten Schale interpretiert hat:
Kintsugi – der Bruch wird vergoldet – eine Kostbarkeit entsteht.

Für mich persönlich und auch für unseren Dienst steckt darin viel Trost und Zuversicht. Auch wenn die ganze Welt und unser eigenes Leben in Scherben liegt, dürfen wir darauf vertrauen, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu aus Nazareth, mich und uns sieht. Mit meiner, mit unserer Not und all unseren Verletzungen. Das tut gut und lässt uns nicht am Dasein verzweiflen. Es gibt Kraft für einen Neuanfang. Mit viel Mühe und Liebe zum Detail dürfen wir uns deshalb an die Arbeit machen, aus den Scherben wieder etwas Brauchbares zu machen. Die Bruchlinien werden dabei nicht versteckt, sondern mit glanzvollen Farbtönen verziert. Unsere Unvollkommenheit ist das Besondere.

Kräfte für die Zukunft

„Die Zukunft ist ja eigentlich vorbei“, sagen Leute angesichts der permanenten Krisensituation. So berichtete es der Zukunftsforscher Matthias Marx im Rahmen des ersten Kacheltalks, an dem über 150 Menschen am vergangenen Mittwoch (9.3.2022) aus der ganzen Republik und darüber hinaus teilnahmen.

Es nützt nichts, angesichts der Sorgen der Menschen. Purer Optimismus im Sinne von „alles wird gut“ kann genauso grausam sein (Cruel Optimism) und zur mindestens neurotisch machen wie der auch nicht zu empfehlende Pessismismus, der immer schon gewusst hat, dass die Sache schlimm ausgeht. Und in Notlagen immer nur mit „Gott“ zu argumentieren, mag im religiösen Kontext funktionieren, baut aber keine Brücke in die Welt derer, die auch ohne eine überirdische Hoffnung den Kopf nicht in den Sand stecken wollen.

Die Macht der Hoffnung entfaltet sich da, wo wir unsere zu einfältig gestrickten Konstruktionen der Welterklärung ad acta legen und unseren Hoffnungsmuskel so trainieren, dass er mit der Realität mental zurecht kommt.

Was sind die Gegenkräfte, um Terror und Gewalt zu überwinden?
Fünf Kräfte der Zukunft empfiehlt Matthias Horx:
Die WUT kann Wunder wirken.
Die BESCHÄMUNG verbindet die Opfer der Gewalt mit denen, die helfen können.
Die VERACHTUNG trifft den Tyrannen, weil sie ihm klarmacht, dass seine Sehnsucht, geliebt und verherrlicht zu werden, nicht in Erfüllung geht.
Die VERNUNFT ist eine scharfe Waffe gegen die Lüge.
Die HOFFNUNG, die nicht gebrochen wird, bringt den Tyrannen zu Fall.

Einen ausführlichen Essay zum Thema mit der vollständigen Beschreibung gibt es hier:
https://www.horx.com/91-der-krieg-und-unsere-zukunft/

Was mich im Zusammenhang mit der Konfizeit beschäftigt, ist die Gedanke, welche Zukunftskräfte wir denn bei unseren Konfis wecken wollen. Die von Matthias Horx angeführten Kräfte sind ja erst mal nicht die, die wir in unseren Kursprogrammen vorgesehen haben.

Das Thema Krieg und Frieden beschäftigt uns aktuell in vielen unserer Bezüge. Einige Materialien für die Arbeit mit Konfis finden sich auf unserer bundesweiten Website: https://konfi-arbeit.de/2022/02/konfi-material-zum-thema-frieden/